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Welche Fähigkeiten brauche ich für die Selbstverteidigung (Teil 2)

27.04.2024

Körpereinheit

Das bedeutet, alles, was man tut, mit dem gesamten Körper zu tun. Wenn ich zum Beispiel schiebe, dann nicht nur mit dem Arm, sondern mit dem gesamten Körper. Und zwar mit der Rückseite. Klingt widersinnig, ist es aber nicht. Schiebe ich mit der Vorderseite, also mit Hilfe der Bauchmuskeln, ist mein komplettes Gleichgewicht futsch. Dazu kommt, dass viel weniger Energie zur Verfügung steht. Das kann jeder ausprobieren. Wenn der geschobene über genügend Kraft und Masse verfügt, kann er das geschoben werden verhindern. Wenn der agierende mit der Körper-Rückseite schiebt. Kann er, ausgehend vom Boden, alle Gelenke aufeinanderstapeln, in die Struktur des Geschobenen eindringen und schieben, ohne besondere Kraft zu spüren. Der geschobene kann dies durch Widerstand nicht verhindern, da seine Körperstruktur gestört ist.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ziehen. Wer hierbei die Rückseite nutzt, gibt sein Gleichgewicht auf. Wer die Vorderseite nutzt, wahrt sein Gleichgewicht und kann mehr Energie nutzen. Die Kraftkette baut sich, anders als beim Schieben, nicht von unten nach oben, sondern umgekehrt, von oben, also von den Händen zu den Füßen hin, auf. Gelenk für Gelenk.

Es ist das Prinzip von Yin und Yang. Wenn der Arm vor geht, also expandiert, geht die Schulter zurück. Geht die Hand zurück, kondensiert also, geht die Schulter nach vorn. so ist der agierende immer im Gleichgewicht. Der Gegner hat normalerweise keine Ahnung, woher diese Energie kommt. Kraft spürt er ja eigentlich nicht.

Um dies zu lernen, braucht man sehr kundige Anleitung. Nicht nur einen Trainer, sondern einen Lehrer, der es nicht nur selbst kann, sondern auch weiß, wie es geht und erklären kann.

Das erfordert und fördert die nächste Fähigkeit, die man braucht.

Technik

Zu dieser Fähigkeit, gibt es ein großes Missverständnis. Die meisten, die sich mit Kampfkunst oder Kampfsport beschäftigen glauben, dass Technik das ist, womit man kämpft. Das ist aber nicht richtig. Wird falsch verstanden.

Kampf ist Bewegung. Nicht die Bewegung, die festen Abläufen oder gar Choreographien folgt, sondern vielmehr Bewegen. Frei bewegen. Ohne die einengende Beschreibung, die ein Stil auferlegt. Das kann man durch üben der Technik lernen. Hat man das Bewegen gelernt, hat die Technik ihren Sinn erfüllt. Man kann sie hinter sich lassen. Es sei denn, man unterrichtet.

Der Job des Kampfkunstlehrers ist es, dem Anfänger zunächst alles zu nehmen, womit er bislang seine Kämpfe bestritten hat. Die nun freie Kapazität füllt er nun mit dem Stil der Wahl. Der Schüler lernt die Technik und übt sie bis zu einem gewissen punkt der Perfektion. Wahre Perfektion nicht kann es nicht geben. Aber dadurch lernt der Schüler, sich richtig zu bewegen. Mit diesem neuen Bewegen, kann er dann kämpfen. Der Stil wird nicht mehr benötigt.

Aber, bis dahin ist es ein sehr langer Weg.

Achtsamkeit

Diese Fähigkeit wird oft mit Aufmerksamkeit gleichgesetzt. Jedoch gibt es einen entscheidenden Unterschied.

Aufmerksamkeit haftet immer an einer Sache. Die meisten Kombattanten einer Schlägerei achten immer auf die Hände des Gegners. Dadurch entgeht ihnen was bei den Füßen passiert, oder umgekehrt.

Wer im Straßenverkehr, aufmerksam das Handy betrachtet, dem entgeht möglicherweise das Auto, welches ihn gleich auf die Hörner nimmt.

Dazu kommt, im Falle des Zweikampfes, dass der Verteidiger erst reagiert, wenn sich die Hand oder der Fuß bewegt.

Der achtsame haftet sich nicht an eine Sache. Er nimmt den Angreifer in seiner Gesamtheit wahr. Jede Aktion, insbesondere, jede willentliche, wird von Körper und Geist vorbereitet. Da wird schon mal das Gewicht verlagert, mit dem Arm ausgeholt und verschiedene Muskeln vorgespannt. Dies geschieht fatalerweise oft schon, bevor die Absicht im Bewusstsein eintrifft.

Das alles, kann der Achtsame wahrnehmen. Nicht rational, sondern intuitiv. Der Verstand ist zu langsam dafür.

Achtsamkeit ist die wichtigste Überlebensfähigkeit überhaupt. Dadurch, dass der Verstand nicht an bestimmten Dingen haftet, nimmt man Gefahren wahr, die einem mit Aufmerksamkeit verborgen blieben.

Wie nun, trainiert man Achtsamkeit? Für die meisten Kampfkünstler ist das relativ einfach. Sie trainieren ihre Form. Kata, Poomse, SiuNimTao 21-Form oder was auch immer. Und zwar so langsam wie möglich, dabei genau auf seinen Körper achtend und immer wieder korrigierend. Immer die Beste Form des Lebens anstrebend. Das trainiert das Bewegen und die Achtsamkeit. Wenn man zu schnell trainiert, verbirgt man die Fehler, die jeder macht, vor sich selbst. Man selbst nimmt das in der Regel gar nicht wahr. Deshalb braucht ein Schüler auch immer einen kompetenten Lehrer, der die Form immer wieder korrigiert. Es dauert seine Zeit, bis die gröbsten Fehler beseitigt sind. Das heißt nicht, dass der Schüler nicht im stillen Kämmerlein, für sich üben soll. Das sollte er auf jeden Fall tun. Aber immer wieder von einem kompetenten Lehrer korrigieren lassen und ihm die beim Üben immer auftretenden Fragen stellen.

Dabei gibt es kein absolut richtig oder falsch. Einige Kampfkünste haben Formen, die sehr abstrakt sind. Mache Bewegungen und Abläufe haben mehrere Bedeutungen und Anwendungen. Entsprechend sind die Bewegungen eine Nuance anders. Daran ist nichts falsch. Auch das trainiert die Achtsamkeit.

Kampfgeist

Eine der – wenn nicht gar DIE – wichtigsten Fähigkeiten, die man braucht, um sich erfolgreich zu verteidigen. Ohne sie würden man wahrscheinlich beim ersten „getroffen werden“, beim ersten stärkeren Schmerz den Kampf aufgeben und sich geschlagen geben. Selbst die Furcht vor dem Schmerz, der noch nicht real ist, bringt manche Menschen, die nicht daran gewöhnt sind, schon dazu, die Segel zu streichen. Auch die Angst, den Kampf zu verlieren darf man nicht außer Acht lassen. Dabei sind die Folgen eines aufgegebenen Kampfes oft viel schlimmer als der Kampf selbst. Wer weiß, was der Sieger mit einem Anstellt. Noch schlimmer, was die Aufgabe, mit dem Geist des Verlierers anstellt.

Das Parade-Beispiel ist in dem Film „Zurück in die Zukunft“ zu bewundern.

Der Hauptprotagonist kommt aus dem Haushalt eines geborenen Verlierers und Mobbing-Opfers. Im Verlauf der Geschichte passiert es dann, dass McFly sich erfolgreich wehrt und Biff zu Boden schlägt. Die Folge ist, dass nach der Rückkehr in das Jetzt, die Welt eine andere ist. Die Rollen von McFly und Biff haben sich vertauscht.

Man sollte Abmachungen mit sich selbst treffen, die die Hemmung anderen weh zu tun (was von geistiger Gesundheit zeugt), herabsetzt. Ein Angriff ist eine Ausnahme-Situation, die Ausnahme-Handeln erfordert. Es ist durchaus unbequem, diese Überlegungen anzustellen und diese Abmachungen zu treffen. Im Training von Scenarien, lasse ich vor meinem Geistigen Auge einen Film ablaufen, in dem das Ganze real wird. Trotzdem, ohne meinen Partner zu verletzen. Manchmal muss man sich auch Schutzausrüstung anziehen, um das zu gewährleisten. Dieses „im Film sein“, gelingt nicht jedem auf Anhieb. Viele haben Angst davor, die es zu überwinden gilt. Das sollte man üben.

Meiner Erfahrung nach ist das Ergebnis leider nur sehr begrenzt, durch sportlichen Wettkampf oder hartes Sparring zu erreichen, wie viele Kampfsportler glauben. Sie rackern sich jahrelang ab, um ihre Angst zu besiegen. Nun ist das, was die meisten für Angst halten, nur zur Hälfte wirklich Angst. Die andere Hälfte sind die Auswirkungen des Adrenalins. Die weichen Knie, zittern, erhöhte Herz und Atemfrequenz, Tunnelblick und verändertes Zeitgefühl sind nur einige davon.

Gegen die Angst helfen eigentlich nur grundsätzliche Überlegungen. Was ist, wenn ich getroffen werde? Klar, es tut weh, aber es ist auszuhalten. Man kann damit weiterleben. Und, egal ob man siegt oder verliert, hinterher geht es einem mental besser, als hätte man nicht gekämpft. Mut ist die überwundene Angst. Ohne sie, gibt es keinen Mut und keine Tapferkeit.

Mit dem Adrenalin ist das eine andere Sache. Im Grunde ist es eine Droge, die den Menschen befähigt, zu Kämpfen, zu fliehen oder sich tot zu stellen. Und wie bei allen Drogen, stellt sich bei häufigem Konsum eine Gewöhnung ein, die die Auswirkungen abschwächt. Fähige Trainer fügen in ihr Training ein Anti-Stress Programm ein, bei dem die Auswirkungen der Droge bestmöglich simuliert werden. Das ist nicht so schwer. Man muss es nur wissen. Und diese Abhärtung gegen die Auswirkungen sorgen dafür, dass man zum Beispiel nicht vor Angst einfriert. Das man handlungsfähig bleibt.

Kampfgeist ist, wenn man das, was man tut, mit vollem Einsatz macht.

Fazit

All diese Fähigkeiten zu entwickeln erfordert viel Zeit und Mühe. Wer glaubt ein Crashkurs bringt einen in Sicherheit, sieht sich getäuscht. Es sind viele Scharlatane und Selbsttäuscher unterwegs, die glauben, sich verteidigen zu können und es anderen beibringen zu können. Die Körperlichen Voraussetzungen kann man durch adäquates Training, relativ leicht erwerben. Für die mentalen Fähigkeiten braucht man einen kompetenten Führer. Machen fällt das mentale Training leicht und sie machen schnelle Fortschritte. Manche brauchen eine lange Zeit dafür.

Überhaupt ist die Fähigkeit zur Selbstverteidigung eine langwierige Aufgabe. Wenn es einen Packt, dann oft für’s ganze Leben. Ein Crashkurs kann nur der Startschuss sein. Vertieft man sich nicht in das Thema und hat viele Jahre danach einen Verteidigungsfall, stehen die gelernten Vorgehensweisen normalerweise nicht mehr zur Verfügung und man geht unter.

Es geht nicht ohne eine gewisse Unerschrockenheit und gnadenlosigkeit, damit man das, was gerade passiert und was man auf keinen Fall möchte, akzeptiert und entsprechend handeln kann. das muss nicht im Wurst Case enden. Manchmal hilft auch ein cooler Spruch, oder einfach auslachen. Man kann sich entschuldigen, ob man die Situation nun zu verantworten hat, oder nicht. Je nachdem, wie man gestrickt ist, oder gerade drauf ist, oder die Situation es hergibt. Man muss Abmachungen mit sich selbst treffen. Sonst wird man nie wissen, was gerade zu tun ist.

Wege dahin gibt es verschiedene. Einige glauben, dass es nicht ohne hartes Sparring geht, um die Angst vor dem Schmerz eines Treffers zu verlieren. Angst verliert man im Allgemeinen nie. Der Schmerz bleit immer der gleiche. Man kann lernen eine andere Einstellung dazu zu haben. Das verliert sich aber wieder, wenn man nicht im Thema bleibt. Eine Kampfsituation, die man nicht will, bedeutet immer großen Stress. Dafür gibt es zielgerichtetes Training. Die zum Ziel hat, handlungsfähig zu bleiben.

Lange Sparringskämpfe sind für Kampfsportler eine gute Sache. In der Selbstverteidigung ist das nicht notwendig, da der wirkliche Kampf nur ein paar Sekunden dauert. Die gefährlichste Phase der Angelegenheit ist, die erste Kontaktaufnahme, der erste Angriff, von wem auch immer. Wenn einer erstmal marschiert, ist die Messe in aller Regel gelesen. Ein verlorenes Ding wieder herauszuholen, ist fast unmöglich. Das bedeutet, hat man angefangen, hört man nicht auf, bevor es zu Ende ist. Wann es zu Ende ist sollte man auch noch erkennen können. Damit man nicht dann, vor Gericht, doch noch verliert.

Miamoto Musashi (der vermutlich beste Schwertkämpfer, den Japan jemals hervorgebracht hat) sagte dazu: „Ein Krieger sollte immer ein mitfühlendes herz haben.“

Wenn erforderlich, war er aber immer gnadenlos. Jedoch hat er nie getötet, wenn es nicht notwendig war. Natürlich immer nach der Lesart des siebzehnten Jahrhunderts und der japanischen Kriegerkaste. Im Deutschland des 21ten Jahrhunderts, bedeutet eine Tötung, auf jeden Fall, eine Gerichtsverhandlung und gute Chancen wegen Totschlags einzuwandern.

Also egal, ob man sich als Kämpfer, oder Krieger versteht. Es ist schon hilfreich, immer im Thema zu bleiben. Eine Aufgabe für das Ganze Leben, die mit den Jahren immer interessanter werden kann.

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